Mittwoch, 7. Dezember 2011

Balanka, da spricht man Balanka!

So, hier nun der versprochene Reisebericht. Ich werde auch wieder versuchen, Fotos auf pixxolo.de hochzuladen. Los geht’s!

Letzten Donnerstag Mittag sind zwei andere Freiwillige und ich in das nördlich gelgene Balanka aufgebrochen. Reisen funktioniert in Togo wie folgt: Man geht zu einem Busbahnhof oder einem Ort, von dem bekannt ist, dass dort die Autos nach Atakpamé oder wo auch immer man hinwill losfahren, fragt sich durch und sitzt wenig später in einem Auto oder einem Bus. Was nicht heißt, dass dieser bald losfährt. Übliche Belegung eines Autos: hinten vier, vorne drei bis vier Personen plus Fahrer. Also sitzen wir erstmal eine Weile in unserem halbvollen Bus und warten, bis dieser sich füllt. Etwa zwei Stunden und zwei Fanmilk-Eis später geht es endlich los Richtung Atakpamé. Der Straße von Kpalimé nach Atakpamé wird nachgesagt, die schlechteste ganz Togos zu sein. Wir werden nicht enttäuscht: Die „Straße“ ist eher eine Anreihung von Schlaglöchern mit bisschen Teer dazwischen und wir werden kräftig durchgeschüttelt. Dreieinhalb Stunden später sind wir 140km weiter und in Atakpamé angekommen. Wir beschließen dort die Nacht zu verbringen und uns die Stadt anzuschauen. Atakpamé ist zwar großer als Kpalimé, erscheint aber viel ruhiger und weitläufiger. Natürlich spielt sich auch hier der Großteil des Lebens auf der Straße ab: Überall gibt es kleine Straßenstände, Boutiquen mit einem Fernseher, vor denen sich Menschen versammeln, Motos, die einen mitnehmen wollen. Nichtsdestotrotz erscheint Atakpamé weniger hektisch als Kpalimé.
Am nächsten Morgen organisieren wir uns am Straßenrand ein kleines Frühstück und finden auch sofort einen Fahrer, der uns bis nach Sokodé mitnimmt. Auf der Fahrt steigen immer wieder Leute ein und aus, mal sind wir zu viert, mal zu acht im Auto. Die Straße ist um Längen besser und es geht schneller voran, bis unser Auto eine Panne hat und wir in ein anderes umsteigen müssen. Im zweiten Auto sitzt vorne ein Polizist mit einem Gefangenen, was ich erst am Ende unserer fündstündigen Fahrt entdecke, da wir in Sokodé noch kurz am Gefängnis halten und ich da erst bemerke, dass der Mann Handschellen trägt. Von Sokodé geht es dann weiter nach Balanka. Zwei Stunden später kommen wir endlich, endlich in Balanka an und werden gleich von den Kindern begrüßt: Yofo, Yofo! Aus dem Yovo ist hier der Yofo geworden und aus Ewe plötzlich Balanka, das nur in Balanka gesprochen wird.
Die nächsten zwei Tage verbringen wir zusammen mit den beiden Balanka-Freiwilligen. Wir schauen uns die riesige, zweistöckige Bibliothek an (zweistöckige Gebäude sieht man ansonsten eher selten), genießen auf deren Dach den Sonnenuntergang und verbringen einfach viel Zeit mit Erzählen. Balanka ist um einiges größer als Tomégbé, dennoch ein Dorf. Ein Dorf mit sechs Moscheen, drei Schulen und einer schönen Atmosphäre. Die Männer sitzen abends vor den Moscheen und quatschen, am Straßenrand werden nach Tofu schmeckender Käse und gefrorene Säfte verkauft und abends kann man nicht schlafen, weil die Kinderdisko gleich nebenan ist und bis zwei Uhr morgens gefeiert wird. Außer der Bibliothek und einigen Generator betriebenen Häusern gibt es keinen Strom, daher ist die Kinderdisko eine der wenigen Beschäftigungsmöglichkeiten. Des Nachts auf der Toilette mache ich meine erste Bekanntschaft mit togoischen Kakerlaken und werde mich wohl eher nicht mit ihnen anfreunden. Da sind mir die kleinen Geckos, die ab und an durch mein Zimmer huschen, schon deutlich lieber. Nach zwei Tagen ist unser Ausflug nach Balanka auch schon wieder vorbei, ich bin inzwischen krank geworden und fahre mit einer Mittelohrentzündung und einer Wassermelone im Gepäck zurück nach Tomégbé. Tatsächlich habe ich, als ich wieder in bei meiner Gastfamilie bin, ein richtiges Nach-Hause-Kommen-Gefühl und freue mich, meinen Gasteltern alles zu erzählen und mit meiner Gastschwester herumzualbern. Am nächsten Tag routiert man schon wieder in Routine. Und da ich Euch noch gar nichts von meinem Alltag hier erzählt habe, obwohl ich schon seit zwei Monaten in meiner Gastfamilie bin, kommt das jetzt.


Hallo, Alltag!
Morgens stehe ich um 5:30 auf und mache mich fertig für die Schule. Zum Frühstück bekomme ich ein Weißbrot mit Margarine oder Käse oder frittierte Teigbällchen (Beignés), nach dem Frühstück gehe ich meistens nochmal die anstehenden Unterrichtsstunden durch. Um 6:30 treffe ich mich mit meinem Einsatzstellenpartner vor meinem Haustor und wir gehen gemeinsam den steilen Weg zur Schule hinauf. Meinstens kommen wir an, wenn der Morgenappell (Fahne hissen und Hymne singen) schon vorbei ist, verharren noch einige Minuten im Lehrerzimmer und begrüßen die anderen Lehrer, bevor wir in unsere Klassen gehen.
Seit Ende Oktober habe ich die 4ème und die 3ème (9. und 10. Klasse) in Mathe übernommen. Ich halte den Unterricht eigenständig, allerdings sitzt mein Vertrauenslehrer noch hinten drin und schläft meistens. Pro Tag halte ich höchstens zwei Stunden, insgesamt acht Stunden die Woche, die restliche Zeit sitze ich entweder im Lehrerzimmer oder in der Bibliothek. Zu Beginn jeder Stunde kontolliere und bespreche ich die Hausaufgaben, beginne dann mit dem neuen Thema und mache zum Schluss einige Übungen. Oftmals ist es bei 70 Schülern in der Klasse schwer festzustellen, ob wirklich alle das Thema verstanden haben. Aber nachdem ich zum gefühlten hundertsten Mal meinen beiden Klassen erklärt habe, dass sie ruhig Fragen stellen sollen, trauen sich immerhin einige zuzugegeben, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Und meistens reicht es einfach, die Aufgabe nochmal in Ruhe und Schritt für Schritt zu erklären. Eine weitere Schwierigkeit war, dass meine Schüler nicht gewöhnt waren, eigenständig Aufgaben zu lösen. Normalerweise werden ein paar Aufgaben angeschrieben und einer der siebzig Schüler kommt nach vorne an die Tafel und rechnet die Aufgabe vor. Wenn er es falsch macht, schickt man eben den nächsten vor oder lässt ihn so lange vorne stehen, bis ihm die Klassenkameraden die Lösung einsagen. Inzwischen habe ich es geschafft, dass jeder Schüler die Aufgabe erstmal eigenständig zu lösen versucht, bevor wir sie gemeinsam besprechen. Während der Stillarbeit laufe ich durch die Reihen und kann die eine oder andere Unklarheit direkt mit den einzelnen Schülern beseitigen. Das kostet zwar mehr Zeit, aber immerhin versucht sich jeder alleine an der Aufgabe und sieht, wo der Fehler lag.
Es klappt also ganz gut mit den beiden Klassen und es macht spornt mich an zu sehen, wie motiviert die Schüler sind, wenn sie etwas verstanden haben. Mein einziges Problem ist und bleibt das Namen lernen. Dadurch, dass die Schüler oftmals nach den Wochentagen benannt sind, wiederholen sich viele Namen und aus irgendeinem Grund fangen 90% der Nachnamen mit A an. Die Namen der Störenfriede und Dauermelder hat man natürlich schneller im Kopf als die der Stilleren. Inwzischen habe ich mir einen Sitzplan erstellt und angefangen, die Namen richtig zu lernen.
Nach meiner Schulstunde oder zwischen den Stunden hänge ich im Lehrerzimmer herum, korrigiere Tests oder diskutiere mit den Lehrern über Politik, Religion oder die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem togoischen Schulsystem. In der großen Pause um 9:45 ist Lehrerkonferenz, in der man sich etwas Warmes zu essen holen oder vom Schüler bringen lassen kann – ich hole mir mein Essen im Gegensatz zu den anderen Lehrern noch immer selber. Etwa um zwölf, manchmal auch früher gehe ich nach Hause, wo meine Gastmama meistens schon das Mittagessen zubereitet. Nach dem Essen gehe ich entweder wieder in die Schule zur Wiederholungstunde für die 3ème (mittwochs) oder in die Bibliothek (donnerstags) oder ich fahre nach Kpalimé (freitags). Dienstags ist nachmittags Devoir Surveillée (Klassenarbeit) in allen Klassen und manchmal bin ich zur Aufsicht eingeteilt. Ich genieße regelrecht, dass nach dreizehn Jahren Schule meine Rolle gewechselt hat und ich jetzt bei den Klassenarbeiten streng gucken und blöde Sätze wie „Noch einmal und ich nehme dir das Blatt weg“ oder „Das ist keine Partnerarbeit, jeder arbeitet für sich!“ sagen darf. Meistens jedoch beschränke ich mich auf den bösen Blick, weil meine letzte Klausur so lange auch wieder nicht her ist und ich mich der abschreibewilligen Schüler bei uns noch ganz gut ensinnen kann.
Montags ist mein freier Nachmittag, den ich mit Lesen, Wäsche waschen oder mit meiner Gastschwester verbringe. Neuerdings helfe ich Ameyo bei Wasserholen am Fluss und das hat erstmal für großen Aufruhr im Dorf gesorgt, dass Madame Aku plötzlich einen Eimer Wasser auf dem Kopf trägt. Ich muss ihn natürlich im Gegensatz zu Ameyo noch mit einer Hand festhalten, aber wenn er leer ist, kann ich ihn auch schon ohne Festhalten auf meinem Kopf balancien. Abends esse ich mit meinen Gasteltern zusammen und anschließend unterhalte ich mich meistens noch mit meinem Gastpapa oder lerne Ewe. Nach der abendlichen Dusche setze ich mich an meine Unterrichtsvorbereitung. Im Laufe des Abends kommt Ameyo in mein Zimmer zum Hausaufgaben machen, Lesen üben oder einfach, um ein bisschen zu quatschen und rumzutollen. Dreimal wöchentlich gehe ich abends zur Chorprobe und singe im Alt mit. Es ist eine tolle Gelegenheit, andere Dorfbewohner kennenzulernen und meine Ewekenntnisse zu verbessern. An den Wochenenden bin ich meistens in Kpalimé im Internetcafé, beim Ewekurs oder auf dem Markt. Samstag nachmittags gehe ich im Collège Protestant in Kpalimé Volleyball spielen und ab und an kommen meine anderen Gastgeschwister sonntags nach Tomégbé und wir verbringen den Tag zusammen. Mein Alltag ist also zu Genüge ausgefüllt, dennoch habe ich viel Zeit für mich und kann endlich wieder in Ruhe ein Buch lesen, das nicht auf dem Lektüreplan der Oberstufe steht. Langsam merke ich, wie ich eine echte Dörflerin werde: Jedes Mal, wenn ich in Kpalimé unterwegs bin, kommt mir die Stadt unglaublich stressig und anstrengend vor und ich bin froh, in das verschlafene Tomégbé zurückzukehren. Weihnachten rückt nun immer näher und somit auch die anstehenden Weihnachtsferien, die ich in Ghana verbringen werde. Weihnachtsstimmung will hier nicht wirklich aufkommen. Obwohl es nachts immer eisig kalt ist (der Wüstenwind lässt grüßen), hat es tagsüber noch immer 30° und vor meinem Fenster neigt sich eine Kokospalme im Wind. So richtig glauben, dass es schon Dezember ist und Ihr drüben anfangt Eure Fenster mit Lichterketten zu schmücken und durch die Geschäfte zu hetzen, kann ich nicht.

So, das war jetzt mal ein langer Blogeintrag, aber das Wichtigste wie immer zum Schluss:
Ich freue mich über jede Mail aus dem Ländle und anderen Teilen Deutschlands und der Welt, zumal ich vom Weltgeschehen nicht viel mitbekommen habe in den letzten drei Monaten. Meine Tagesnachrichten bekomme ich lediglich von der Obstfrau vor meinem Haus, die mir verraten hat, dass Gadaffi tot ist und Carla Bruni ein Kind bekommen hat. Also, gerne Mails an claudia_chwila@biomail.de

Seid umarmt,
Miadogo-loo (bis bald!)

Eure Akuvi.
(die kleine Aku)